Hier geht’s lang! Rundgang durch das Museum

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Das Wappenhaus

Das Wappenhaus

1980 vermachte Frau Maria Amstutz (1915 – 1980) ihr Wohnhaus und ihre historische Sammlung der Stiftung Josef Amstutz-Langenstein zur Errichtung eines Museums. In den Jahren 1983 – 1987 wurde die Planung für den Umbau in ein Museum und das Museumskonzept erarbeitet. 1987 wurde die Baubewilligung erteilt. Das Wappenhaus ist gemäss der Inventarliste des Bundes ein Schutzobjekt von regionaler Bedeutung. Im Jahr 1988 erfolgte der Umbau und die Einrichtung des Hauses zum Museum. Seit dem 10. Dezember 1988 besitzt Engelberg sein Tal Museum.
Seit dem 15. Jahrhundert steht auf diesem Bauplatz ein Wohnhaus. Verschiedene Bauphasen, Ergänzungen und Umbauten mündeten 1786/87 in einem faktischen Neubau. Es entstand ein Bau nach traditionellem Baumuster des Engelberger Bauernhauses. Das heutige Erscheinungsbild als Wappenhaus entstand jedoch erst 1936/38 mit der Platzierung der Wappenschilder der Engelberger Bürgerwappen und dem ins Giebelfeld gesetzten Gemeindewappen von Engelberg. Die Restaurierung von 1988 hatte zum Ziel, am Äusseren und Inneren störende Veränderungen zu korrigieren und dem Haus erneut zu einem einheitlichen Aussehen zu verhelfen.
Das Äussere: In der Bauzeit von 1786/87 zeigte sich das Haus noch ohne Schindeln, mit gekoppelten, kleinen Fenstern und einer geschnitzten, das Giebelfeld zierenden Hausinschrift in Kerbschnitt. Bis gegen 1890 existierten als Nebengebäude eine hangwärts stehende Holzhütte und gegen die Schwandstrasse ein Kleinstall. Das Haus war bis zu jenem Zeitpunkt mit einem Schindeldach gedeckt, gehalten durch aufliegende Baumstämme mit Schwersteinen. Um 1890 wurde das Wohnhaus erweitert durch den rückseitigen Anbau, neu mit Ziegeln gedeckt und teilweise neu verrandet.
Das Innere: Im Inneren präsentiert sich das typische Engelberger Wohnhaus gut erhalten. Im Bereich Küche und Rauchkammer wurde er Zustand des offenen Rauchabzuges wieder erstellt. Die Freilegung der abgedeckten Gefachwand ermöglichte die Rekonstruktion der alten Blockstiege im Gang. Damit wurde der ursprüngliche Raumeindruck wiedergewonnen, wie ihn die Bewohner Ende des 18. Jahrhunderts vorfanden.

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EG: Relief der Region Engelberg, 2008

Relief der Region Engelberg Massstab 1:10'000, Toni Mair, Geomodelia Reliefbau Atelier GmbH, Unterägeri Geschenk der Fritz Carl Wilhelm Stiftung 2008

Im Auftrag der Fritz-Carl Wilhelm Stiftung hat der Reliefbauer Toni Mair (1943-2015) während über 1200 Stunden das Relief der Region Engelberg geschaffen. Der ausgewiesene Könner dieses heute so seltenen Handwerks arbeitete europaweit für Universitäten und Museen. Die Eckpunkte des 3,75 Quadratmeter grossen und 300 Kilogramm schweren Reliefs sind Gitschenen (Nordost), Krönten (Südost), Flüeli-Ranft (Nordwest) und Melchsee-Frutt (Südwest). Als Vorlage dienten bei der Entstehung die Landeskarten 1:25’000 und Stereo-Luftbilder, die aus dem Helikopter systematisch aufgenommen werden. Im Atelier entsteht dann zuerst eine Grobfassung des Reliefs. Dazu wird jede Höhenkurve der Landeskarte auf Sperrholzplatten übertragen und ausgesägt. Danach wird ein Negativabguss aus Silikonkautschuk hergestellt. Von diesem Negativ wiederum wird ein homogenes Gipsmodell gegossen. Dieses kann dann exakt geschnitzt und nachmodelliert werden.
Die Landschaft wird mit Acrylfarbe, eingefärbtem Sand und weiteren Materialien naturgetreu nachgestaltet.

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EG: Relief von Jachim Eugen Müller, 1811

Das Engelberger – Relief Massstab: 1: 20'000 85 x 98 cm, 1811 Gips, Spiegelglas, Metallstifte, Ölfarbe, Holz Dauerleihgabe Zentralbibliothek Zürich

Das sogenannte „Engelberger Relief“ stellt eines der Hauptwerke Joachim Eugen Müllers dar. Zentraler Fixpunkt der Berechnungen und Winkelmessungen für das Relief war der Titlis. In detaillierter Weise zeigt das Relief Berge, Gletscher und Täler rund um das Dorf Engelberg.
Für die Entstehung eines detaillierten und massstabgetreuen Reliefs waren umfassende Vorarbeiten notwendig. Davon zeugen Müllers Feldbücher und Messwerkzeuge. Die Reliefs bestehen aus einer Masse von Gips, Sand und Wachs mit Kalk und Harz. Müller übergoss eine mit Plan versehene und der Höhe der Berge entsprechend eingewandte Fläche mit der oben beschriebenen, heissen Masse, so dass dieselbe die vorher eingeschlagenen, entsprechend hohen Stifte an den Berggipfeln überragte. Er wandte seine bekannte „Nagel-Technik“ an, mit der er die Höhe der Bergspitzen vorher markierte. Nach dem Erkalten der Masse begann er mit einem löffelartigen, groben Instrument das Relief von oben nach unten zu bearbeiten. Zuerst die Spitzen, dann die Vertiefungen. Die exakte Wiedergabe der Bergformen und die sorgfältige Darstellung der Details zeichnen Müllers Arbeiten aus.

Bereits kurze Zeit nach Fertigstellung des Reliefs um 1811 wurde es in einer Ausstellung in Zürich präsentiert. Aus einem Brief Eschers von der Linth – Joachim Eugen Müller war mit ihm befreundet, half ihm sogar bei der Ausmessung des Linth-Kanals – geht hervor, dass sich das Kunstwerk 1814 im Hause Eschers befand. Müller wollte es gar seinem Freund schenken, dieser meinte jedoch, es sei ihm „des Platzes wegen unbequem“.
Es ist ungewiss, auf welchem Weg das Relief schliesslich in den Besitz der Zürcher Zentralbibliothek gelangte. Heute ist das farblich gut erhaltene Werk als Dauerleihgabe ins Engelberger Tal zurückgekehrt.

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1.OG: Die Rauchküche

1.OG: Die Rauchküche

Russgeschwärzte Wände: die Küche

Heute präsentiert sich die alte Rauchküche im Tal Museum praktisch in jenem Urzustand, wie sie sich nach der Erbauung im Jahre 1786 präsentierte.
Als wichtigste Restaurierungsmassnahmen sind zu erwähnen: Die Freilegung der Gefachwand zum Gang hin, die Öffnung und Rekonstruktion des offenen Rauchfanges. Viele der Gebrauchsutensilien stammen aus dem Sammlungsbestand des Museums. So das Küchenbuffet, gefertigt ohne Nagel. Selbst die Bänder sind aus Holz. Der Gusseisensparherd ist voll heizbar, ebenso wie der von der Küche aus zu bedienende Kachelofen.

Das Muttelispiel
An der Wand über dem Küchentisch aus der Bauzeit finden wir einen der letzten Vertreter des Muttelispieles. Es handelt sich um ein sogenanntes „Bauernroulette“, bei dem der Spielende danach trachtete, mit der Kugel durch geschickten Wurf eine möglichst hohe Punktzahl zu erreichen. Beim „muttelen“ war die in der Mitte liegende Mulde der Haupttreffer, darin lag das gesetzte Geld und die Angabe des Quantums des auf das Spiel gesetzten Mostes, Weines oder Käses. Die Kugel wurde innen am Rande in Bewegung gesetzt und dann frei laufen gelassen. Je nachdem wo die Kugel stehenblieb, war der Gewinn grösser oder kleiner.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Spiel durch die Obwaldner Regierung verboten.

Beachtenswert ist auch der Kartoffelstössel. Nachdem die Kartoffeln geschwellt wurden, wurden sie durch den Siebeinsatz gepresst, als Spaghetti getrocknet und nach Bedarf mit Wasser zu Kartoffelstock verrührt.

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1.OG: Die Wohnstube

Die Wohnstube

Beten und repräsentieren: Die gute Stube

Die Bauernstube ist der grösste und repräsentativste Raum im Haus. Sie zeigt das Wohnen einer wohlhabenden Engelberger Bauernfamilie. Das spätbarocke, intarsierte Buffet und der grüne Kachelofen deuten mit ihren Inschriften auf die Zeit der Erbauung des Hauses von 1786/87. Die gute Stube war dem Empfang von Gästen und dem Gebet vorbehalten. Der Herrgottswinkel und die Heiligen- und Andachtsbilder zeigen, wie untrennbar Glaube und Alltag in dieser katholisch geprägten Gegend miteinander verbunden waren.
Ende des 19. Jahrhunderts bekam dieser Raum eine neue Bedeutung: ab 1891 war in der Stube die Geschäftsstelle der ersten Bank Engelbergs – der Sparkasse – untergebracht. Der erste Kassier der Sparkasse war Joseph Amstutz, Eigentümer dieses Hauses. Sein Sohn, ebenfalls mit Namen Josef Amstutz, übernahm das Kassiersamt von seinem Vater. Tagsüber kamen die Kunden um ihre finanziellen Anliegen zu erledigen, abends und an den Wochenenden diente die Stube als Wohn- und Aufenthaltsort für die Familie. 1937 wurde der Keller des Hauses zu den neuen Büroräumlichkeiten der Kasse umgebaut.
Das heutige Tal Museum wurde bis 1980 von Maria Amstutz (1915 bis 1980) bewohnt. Sie war es, die testamentarisch den Grundstein für dieses Museum legte, das 1988, acht Jahre nach ihrem Tod, eröffnet werden konnte.

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1. OG: Die Schlafkammer

Die Schlafkammer

Neben der Stube liegt die Schlafkammer. Das Elternbett, ein sog. „Anderthalbschläfer“, das Kinderbett und die Wiege sind auf engstem Raum untergebracht. Die Eltern teilten sich mit den Kleinkindern die beheizbare Schlafkammer, während die Grösseren ihre Schlafräume meist in den darüberliegenden, nicht beheizbaren Räumen hatten. Alle Betten haben als Untermatratze noch den Laubsack.

Die Kammer ist weitgehend bestückt mit Mobiliar aus dem Stiftungsnachlass von Maria Amstutz (1915 bis 1980). Er weist einige herausragende Objekte auf. Die Wäschekommode mit Spätbarockmalereien, die verwandte Züge aufweisen mit zur Malerei der Dynastie Obersteg aus Nidwalden. Die Obersteg waren häufig für die Herrschaft des Klosters tätig gewesen, so im Herrenhaus Grafenort bei der Ausmalung des dortigen Festsaales.

An weiteren reizvollen Ausstattungsstücken sind zu beachten: Die Wäschetruhe der Regina Matter von 1844 mit Bauernmalereien.
Die Tücher sind aus Leinen gewoben, die in Engelberg gewaschen, gesponnen und verarbeitet wurden.
Die hl. Magdalena ist ein Werk des Bruder Nikolaus, einem gebürtigen Luzerner, der als letzter Eremit im Flüeli-Ranft im Einsiedlerhaus lebte und datiert von 1844.

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1.OG: Volksfrömmigkeit

Volksfrömmigkeit

Als bildhafte Belege der Volksfrömmigkeit zeigt die Sammlung des Tal Museums Andachtsgegenstände, die im 18. und 19. Jahrhundert entstanden sind und vorwiegend im privaten, häuslichen Bereich zur Anwendung und Verehrung gelangten. Es sind Gegenstände des Volksglaubens, aber auch des volkstümlichen Aberglaubens.

Beispielhalft sind in der Vitrine unter anderem sogenannte Schutzbriefe, auf Papier gedruckte Amulette mit Mehrfachschutzwirkung, oft eingenäht in Schutztaschen aus Stoff, ausgestellt.
Diese wurden am Gürtel, an einer Kette oder an Bändern über die Schultern getragen. Diese volkstümlichen Amulette gaben Schutz gegen jede Gefahr für Leib und Seele. Beginn der Anwendung um 1730 im bayrischen Raum. Mit der beginnenden Aufklärung wurden diese Schutzbriefe kaum mehr hergestellt. Ein letztes Aufblühen in der Anwendung erfolgte nochmals für kurze Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

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1. OG: Nebenstube: Geschichte der Engelberger Tracht

Ursprünge der Tracht

Trachten gehen auf die regionale, bäuerliche Kleidung zurück, wie sie Ende des 18. Jahrhunderts – vor Einsetzen der industriellen Revolution und Textilproduktion – getragen wurde. Der Stil war beeinflusst von der höfisch-französischen Mode des Rokoko, welche über Städte und lokale Oberschichten aufs Land gelangte. Mieder, Vorstecker (versteiftes Brusttuch, vorne in das offene Mieder gesteckt), Spitzenhauben, Schwefelhut (Strohhut), Schnallen-schuhe, eng anliegende Colliers, die Verwendung von Damast und Brokat und Seidenstickereien sind in vielen Trachten anzutreffende Rokoko-Elemente. Da Engelberg und Nidwalden eine geographisch-kulturelle Einheit bilden, entwickelt sich eine regionale Tracht, die Ende 18. Jahrhunderts u.a. folgende Elemente aufweist: ein steifes, rotes oder blaues Mieder mit besticktem Vorstecker, ein roter Rock, eine Schürze mit bunten Seidenbändern, eine schwarze Halsbinde mit Halsbätti (eng anliegende Halskette) und Göllerketten mit Hängerosetten.

Frühes 19. Jahrhundert
Die Französische Revolution bringt auch in der Modegeschichte einen grossen Umbruch: Die steifen Mieder verschwinden. In Anlehnung an antike Vorbilder verschiebt sich in der Empiremode (Empire: französisches Kaiserreich unter Napoleon, 1804-1815) die Taille unter die Brust, die Kleider betonen fliessend die Körperkontur. Gleichzeitig beginnt man in der Romantik, die Alpen und ihre Bewohner zu idealisieren, so entstehen viele Trachten-Darstellungen, auf denen der Einfluss der Empiremode gut zu erkennen ist: die Mieder sind nicht mehr versteift, und die Taille ist hoch unter der Brust angesetzt. In dieser Zeit taucht in der regionalen Tracht ein neues Element auf: ein schmaler Gürtel, der seitwärts geschlossen wird. Beibehalten werden u.a. Vorstecker, Schwefelhut und Schmuck. Während des gesamten 19. Jahrhunderts folgt die Tracht nun den Modeströmungen, welche sich dank Industrialisierung und Massenproduktion schnelle Verbreitung finden.

Engelberger Trachtenwesen

1915 organisiert Engelberg anlässlich der 100-jährigen Kantonszughörigkeit zu Obwalden eine historische Ausstellung samt „Trachtenabteilung“; gezeigt werden Trachten aus dem frühen 19. Jahrhundert; Vorstecker mit Seidenstickereien, Haarpfeile und Schaufeln, Halsbätti, Hauben und Schwefelhüte. Man schreibt dazu, dass die Tracht verschwunden sei, weil der „Sinn dafür“ verlorengegangen sei. Die Trachtenreform war aber auch in Engelberg erfolgreich. Bildmaterial aus den 1930er Jahren zeigt eine Trachtengruppe, in der sowohl die Empiretracht wie auch die traditionelle Tracht mit dem Tschäpper getragen werden. Gut ersichtlich ist, wie sehr man noch mit Materialien und Schnitten improvisierte. 1942 wird die Trachten-vereinigung Engelberg gegründet. Bis in die 1950er Jahre werden beide Trachten getragen, die Tschäpper-Tracht manchmal auch mit locker fallenden Ärmeln. Später wird die Empiretracht zur Engelberger Tracht; sie weicht zur Unterscheidung in einigen Details leicht von ihrer Nidwaldner Schwester ab.

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2.OG: Chronikraum I

Die Besiedlung

Im Gebiet Trübsee/Jochpass gefundene Steinsplitter, Pfeilspitzen und eine Axt belegen die Nutzung des Tals als Durchgangspassage in der frühen Vorgeschichte. Ab ca. 600 v. Chr. besiedeln Kelten (Helvetier) die Region Schweiz. Sehr alte lokale Flurnamen wie Gerschni (1) oder Alpelen (2) haben keltische Wurzeln. Im 1. Jh. n. Chr. wird das Gebiet der Helvetier dem Römischen Reich einverleibt. Es kommt zu einer Verschmelzung zwischen keltischer und römischer Bevölkerung, Kultur und Sprache. Aus dieser Periode stammen Flurnamen wie Zingel (3) oder Planggen (4). Im Gefolge der Völkerwanderung erreichen die Alemannen ca. 700 n. Chr. die Innerschweiz. Die germanischen Alemannen nennen die anderssprachige keltisch-römische Bevölkerung „Wal(l)en“ (welsch/fremd): Wallenalp und Wallenstöcke (5) kommen so zu ihren Namen. Herkunft und Geschichte der verschiedenen Flurnamen zeigen, dass die Alp- und Weidwirtschaft älter als die Besiedlung des Talgrundes ist. Dieser bleibt bis ins anbrechende Mittelalter grösstenteils unberührte Wildnis, während die Alpgebiete schon viel früher zur Sommerweide bestossen wurden (Transhumanz).
Im 8./9. Jahrhundert wird der Talboden urbar gemacht und die Wildnis zurückgedrängt. Flurnamen wie Schwand oder Schwändli (6) (von „schwenden“ d.h. „zum Schwinden bringen“), Bränd (7) („durch Feuer gerodet“), Rüteli, Rüti, Fellenrüti, Herrenrüti (8) (von „gereutet“ d.h. „gerodet“) gehen auf diese Bemühungen zurück. In dieser Zeit gelangt das Tal mitsamt den damals bereits vorhandenen Alprechten unter die Herrschaft verschiedener Grafenhäuser aus dem Unterland, welche die Erschliessung vorantreiben und zu diesem Zweck weitere Siedler ins Hochtal entsenden. Der Talboden wird in verschiedene Güter bzw. Höfe unterteilt, zu denen jeweils auch Alpen gehören. Eines dieser Güter befindet sich im 12. Jahrhundert im Besitz der Freiherren von Sellenbüren, eines Adelsgeschlechts aus Umgebung Zürichs. Im Jahre 1120 stiftet Konrad von Sellenbüren, der letzte Spross des Geschlechts, sein Engelberger Gut für ein Benediktiner-Kloster und überschreibt diesem auch die Höfe und Güter seiner „unterländischen“ Besitzungen zur wirtschaftlichen Versorgung.

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2.OG: Chronikraum II

Das Kloster Engelberg

Mönche aus dem Kloster Muri helfen bei der Gründung des Konvents in Engelberg. Muri besitzt zu jener Zeit zahlreiche Alpen im Tal, die Konrad von Sellenbüren aufkauft und ebenfalls der neuen Benediktinerabtei vermacht, die so über umfangreichen Besitz im Engelberger Tal, Nidwalden, Luzern, Aargau und Zürich verfügt. Bereits 1124 bestätigen Papst und Kaiser die Gründung – ausgestattet mit freier Vogt- und Abtwahl untersteht das Kloster keiner weltlichen Macht und so gelangt Engelberg zu seiner Sonderstellung in der Alten Eidgenossenschaft (ab 1425 als Zugewandter Ort), die bis ins Jahr 1798 andauern wird.
Das Engelberger Kloster ist als Doppelkloster angelegt. Diese Institution vereinigt räumlich getrennte Konvente von Mönchen und Nonnen unter der gemeinsamen Herrschaft von Abt und Magistra (Meisterin). Seit dem frühen 13. Jahrhundert befindet sich der Frauenkonvent St. Andreas im Gebiet der Wetti. Die Versorgung beider Konvente gewährleisten Güter aus Stiftungen und Schenkungen.
Klöster gelten als Horte des Wissens, der Buchproduktion und der Spiritualität. Im späten 12. Jahrhundert gelangt das Skriptorium des Männerkonvents unter zwei besonders eindrücklichen Meistern zu einer frühen Blüte. In den folgenden Jahrhunderten entstehen weitere prächtige Werke. In der Bibliothek des Frauenkonvents finden sich frühe Fassungen der Werke der oberrheinischen Mystik, in der das persönliche Gebet in der Muttersprache eine grosse Rolle spielt. Das „Engelberger Gebetbuch“ aus dem 14. Jahrhundert enthält einige der ältesten privaten Gebetstexte in deutscher Sprache.
Das Engelberger Doppelkloster wird im Laufe der Jahrhunderte von Bränden und der Pest heimgesucht. Zahlreiche gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Veränderungen gefährden die Versorgung zunehmend. Aber erst 1615 wird der Frauenkonvent nach Sarnen verlegt, das Engelberger Doppelkloster gehört damit zu den langlebigsten Doppelklöstern überhaupt.

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2.OG: Chronikraum III

Die Talleute

Während Mittelalter und früher Neuzeit steht das Tal unter der Herrschaft des Klosters. Wirtschaftliche wie politische Prozesse beeinflussen und prägen das Verhältnis zwischen Gotteshaus und Untertanen. Die Ausformung der Herrschaft wandelt sich ebenso wie das Selbstverständnis der Talleute im Laufe der Zeit. Die klösterliche Herrschaft beruht auf Grundherrschaft – der Herr verfügt über Land, Herrschafts- und Verwaltungsrechte. Er vergibt Land zur Nutzung und die Landempfänger leisten Abgaben in Form von Naturalien, Zinszahlungen und/oder Arbeitsstunden (Fron). Landempfänger können sowohl Freie wie Unfreie sein; Abgaben und Fronen können an der Person oder am Land haften. Es war nicht immer von Vorteil, Land als Freier zu bewirtschaften, weshalb es vorkommen konnte, dass die Hörigkeit bewusst angestrebt wurde. Grundherrschaft wurde von vielen Faktoren und Prozessen beeinflusst und war entsprechend wandelbar. Extremvorstellungen einer gütigen Kloster-Herrschaft oder feudaler Unterdrückung werden der historischen Wirklichkeit kaum gerecht.
Es lässt sich eine langsame Aufweichung des Systems beobachten. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die Erbleihe. Statt regelmässig neu vergeben zu werden, verbleibt Land gewohnheitsmässig in derselben Familie. Feudale Lasten liegen zwar weiter auf dem Land, doch es kann vererbt und so langsam „ersessen“ werden. Wirtschaftliche Entwicklungen stärken die bäuerliche Position, günstigere Zinse werden ausgehandelt. Einhergehend mit dieser Schwächung der Grundherrschaft (und der Leibeigenschaft) setzen im 15. Jahrhundert Bestrebungen nach mehr Autonomie und Mitsprache ein. Das Talrecht wird schriftlich festgehalten, die Talbewohner erhalten einen Talammann und Mitsprache bei der Gerichtsbesetzung. Zu Beginn der frühen Neuzeit lässt sich die Ausbildung eines kommunalen Selbstbewusstseins feststellen, das sich nicht nur politisch, sondern auch kultisch in Stiftungen und Schenkungen ausdrückt, die im Namen der „Gmeine Thallüt alhie zuo Engelberg“ erfolgen und die von einem neuen, bescheidenen Wohlstand zeugen.

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2.OG: Chronikraum IV

Der Blick auf die Berge

Renaissance und Humanismus, der Buchdruck und die Entdeckungsfahrten nach Osten und Westen bringen im 15. Jahrhundert die Zeitenwende vom Mittelalter zur frühen Neuzeit; einer Epoche, welche ein neues, modernes Verständnis der Natur begründet. Für Engelberg bedeutsam wird eine Entwicklung, die ihren Ausgang in den Gelehrtenstuben des Humanismus nimmt: die Naturphilosophie, Vorläuferin der modernen Naturwissenschaften. Die Natur wird auf einmal nicht mehr als feindlicher Ort voller Geheimnisse und Bedrohungen wahrgenommen, sondern als Objekt des Staunens und der wissenschaftlichen Untersuchung. Die alpine Bergwelt wird vom Ort des Schreckens zum Ort des Staunens. Nun kommen nicht nur Pilger nach Engelberg, sondern auch Reisende, deren Blick nicht mehr nach innen, sondern nach aussen auf Landschaft und Berge gerichtet ist. Reisebeschreibungen und erste Versuche, Landschaft und Topographie bildlich zu erfassen, entstehen. Die berühmte, wohl älteste Darstellung des Klosters von Matthäus Merian stammt aus einer solchen Reisebeschreibung: der 1642 erschienenen Topographiae Helvetiae.
Das Jahrhundert der Aufklärung führt den naturphilosophischen Blick auf die Alpen hin zu einer naturwissenschaftlichen Sichtweise, die Wert auf Messen, Beobachten und Analysieren legt. Die Erstbesteigung des Titlis 1744 ist weiterer Ausdruck dieser naturwissenschaftlichen Annäherung an die Bergwelt. Ende des 18. Jahrhunderts erscheint das erste auf wissenschaftlichen Vermessungen beruhende Kartenwerk der Schweiz, der Atlas Suisse. Grundlage für die alpinen Karten sind vom Engelberger Joachim Eugen Müller gefertigte Aufzeichnungen, Skizzen und Reliefs (Erdgeschoss).
Zu diesem wissenschaftlich-nüchternem Blick gesellt sich in im Verlaufe des 18. Jahrhunderts eine sentimentale Sichtweise. Die Romantik schreibt der ungezähmten Natur erhebende, befreiende und heilende Kräfte zu. Maler und Dichter lassen sich von der Bergwelt und ihren Bewohnern inspirieren und feiern deren Schönheit und Unverdorbenheit oftmals in dramatisch überhöhten Landschaftsansichten oder idyllisch verklärten Darstellungen der traditionellen Lebensweise.

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2.OG: Chronikraum V

Politische Neuordnung

Zum Jahreswechsel 1797/98 erreicht die Französische Revolution mit dem Überschreiten der Grenze durch Truppen der Ersten Republik endgültig die Alte Eidgenossenschaft. Untertanengebiete und Gemeinen Herrschaften finden den Weg in die Freiheit, alte Herrschaftsformen geraten ins Wanken – auch in Engelberg. Das Kloster macht einige Zugeständnisse, besteht aber sonst auf Beibehaltung des „alten Rechtes“. Mit der Niederlage im Grauholz am 5. März 1798 sind die Tage des Ancien Régmie aber endgültig gezählt. Die Helvetischen Republik – mit einer auf Rechtsgleichheit, Gewaltenteilung und Volkssouveränität beruhenden Verfassung – nimmt Gestalt an. Feudale und oligarchische Herrschaftsformen werden abgeschafft; am 30. März verzichtet Abt Leodegar Salzmann auf alle Herrschaftsrechte. Am 5. April 1798 nimmt die Talgemeinde die neue Verfassung an. Im Juli wird Engelberg dem Distrikt Nidwalden im neu geschaffenen Kanton Waldstätte zugeordnet.
Der Verlust politischer Macht und Unabhängigkeit, Sorge um religiöse Identität und Widerwille gegen zentralistische Weisungen schüren vor allem in der Innerschweiz Widerstand gegen die neue Republik. Engelberg leistet trotz Druckversuchen aus Nidwalden am 23. August den Helvetischen Bürgereid und bleibt vom Franzosensturm, der am 9. September durch Nidwalden tobt, verschont. In den folgenden Phasen der Helvetik und Mediation gehört das Tal nun administrativ zu Nidwalden.
1813 bricht das von Frankreich geschaffene Staatensystem zusammen, Europa wird neu geordnet. In Zürich beginnen mühsame Verhandlungen für eine neue Verfassung, die durch Kräfte, die eine Rückkehr zur „alten Ordnung“ verlangen, behindert werden. In Nidwalden führt eine reaktionäre Machtübernahme zu radikal-chaotischen Verhältnissen, so dass Engelberg im Sommer 1815 den Kantonswechsel zu Obwalden anstrebt. Als sich Nidwalden im Spätsommer nach dem unblutigen Eingreifen von eidgenössischen Truppen dem neuen Bundesstaat anschliesst, wird Engelbergs Kantonszugehörigkeit nicht neu verhandelt – die Gemeinde bleibt Obwaldner Exklave.

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2.OG: Chronikraum VI

Neue Horizonte

Um 1840 beginnt für Engelberg ein neues Kapitel. Doktor Carl Cattani wandelt den von seiner Familie betriebenen Gasthof Engel in ein Kurhaus um und wirbt im In- und Ausland mit der Heilwirkung des „Luft- und Höhenkurortes Engelberg“. Das Kurwesen, basierend auf der Idee, dass die Natur über Heilkräfte verfügt, bringt einen wachsenden Strom von Gästen ins Tal, die sich Heilung von zahlreichen Leiden erhoffen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts machen der Ausbau des europäischen Eisenbahnnetzes und der wirtschaftliche Aufschwung das Reisen zum Vergnügen – bisher ein Privileg des Adels – auch für das aufstrebende Bürgertum erschwinglich. Man reist zur „Sommerfrische“ in die Berge. Um die Wünsche dieser anspruchsvollen Kundschaft zu erfüllen, entstehen in den 1860er Jahren die ersten Grand Hotels: Das Sonnenberg und das Titlis, beide im Stil adeliger Paläste gestaltet und mit zahlreichen Sälen und Salons und einer grosszügigen Parkanlage ausgestattet.
Die folgenden Jahrzehnte sind geprägt von einem wahren Bauboom, der das Dorf dramatisch verändert: neue Hotels und Geschäftshäuser werden gebaut; weitere Parkanlagen und ein Netz von Spazierwegen angelegt. Für die Bevölkerung eröffnen sich neue wirtschaftliche Möglichkeiten. Die Bedürfnisse des Tourismus führen zu einem stetigen Ausbau der lokalen Infrastruktur, der oft vom 1883 gegründeten Kurverein vorangetrieben wird. Engelberg wird an das Telegraphen- und Postkutschennetz angeschlossen (1869). Zur Lichtversorgung der grösseren Hotels entstehen private Elektrizitätswerke. Die erste Telefonlinie wird in Betrieb genommen und mit dem Bau der Stansstad-Engelberg Bahn erfolgt der Anschluss an das europäische Schienennetz (1897/98). Kurz darauf findet die erste offizielle Wintersaison statt: Gäste kommen nun auch im Winter, die ersten Wintersportanlagen (Eisfelder, Schlittel- und Bobbahnen) entstehen. Engelberg wird im Zeitalter der Luxusdampfer, der prächtig ausgestatteten Züge und der Hotelpaläste zur mondänen Destination für die europäische Oberschicht und die Einwohnerzahl steigt markant. Diese goldene Phase der Belle Epoque endet 1914 abrupt mit dem Ersten Weltkrieg.

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2.OG: Chronikraum VII

Der Weg in die Moderne

Der Erste Weltkrieg begründet tiefgreifende politische, kulturelle und gesellschaftliche Umbrüche. Die Moderne erreicht das Engelberger Tal in vielen Formen: Der Ruf nach körperlicher Ertüchtigung zur Förderung der Gesundheit bringt dem Sport und dem Sonnenbaden eine neue Bedeutung. In den 20er Jahren entstehen deshalb in Engelberg touristische Grossanlagen mit Pioniercharakter: die Seilbahn Gerschnialp-Trübseealp und das Schwimm- und Freiluftbad Sonnenberg. Die Zahl der Tagesausflügler steigt und mit ihnen auch die Zahl der Autos. Länger verweilende Gäste bevorzugen nun kleinere, modern gestaltete Pensionen oder private Unterkünfte. Es entstehen Ferienhäuser in Form traditioneller Chalets oder Bungalows im Stile des Neuen Bauens. Ebenfalls dem Neuen Bauen verpflichtet ist das vom Grafiker und Designer Herbert Matter für seine Eltern gestaltete Tea-Room im Dorf, wo die Moderne auch musikalisch Einzug hält: es wir Treffpunk internationaler Jazz-Grössen. Matter entwirft auch legendäre Werbeplakate für Engelberg (z.B. die Frau mit Norwegerhandschuh).
In den 40er Jahren und besondere nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt sich der Drang nach Modernisierung und es beginnt eine intensive Wachstumsphase. Seilbahnen erschliessen Ristis (1952) und Klein-Titlis (1967) für den Massentourismus; in den Skigebieten auf beiden Talseiten werden weitere Sportanlagen gebaut und kontinuierlich modernisiert. In den 60er Jahren verbessert sich die verkehrstechnische Erschliessung weiter durch die direkte Zugverbindung nach Luzern und den Anschluss an das Autobahnnetz in Nidwalden.
Alte Hotelbauten samt Parkanlagen verschwinden und der Dorfkern wird durch den Bau der Klosterstrasse neu gestaltet. Ausserhalb des Dorfs entstehen kompakte Überbauungen mit Ferienwohnungen, andernorts ist gleichzeitig ein Trend zur Zersiedelung festzustellen. Der Bauboom der Hochkonjunkturjahre führt zu problematischen Entwicklungen. Ab Mitte der 70er Jahre beginnt ein Umdenken, das endlich die Umsetzung raumplanerischer Vorgaben möglich macht. Zur selben Zeit werden Umwelt- und Landschaftsschutz je länger je mehr zu Themen, die beim ständig voranschreitenden Ausbau der touristischen Infrastruktur mitberücksichtigt werden müssen.
Die seit stetig wachsende Bevölkerung – lediglich während der 80er Jahre stagniert das Wachstum – findet ihr Auskommen immer mehr im Dienstleistungssektor und in Handel und Gewerbe, der Anteil der Landwirtschaft geht zurück. Ende des 20. Jahrhunderts ist der Wandel vom ländlichen Dorf zum Tourismuszentrum endgültig abgeschlossen.

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